Die Idee ist schlicht, die Umsetzung grandios. Die französische Regisseurin Éléonore Pourriat hat einen 10minütigen Kurzfilm gedreht, der in kurzer Zeit schon über 13 Millionen Aufrufe auf Youtube hat. Die einfache Idee: Wir spiegeln den Männern mal die Welt aus der Sicht der Frauen, sprich wir zeigen wie der Alltag aussieht, wenn die Geschlechterrollen vertauscht wären, es also keine patriarchalen Strukturen, sondern matriarchale gäbe. Klingt schon oft gehört, ist aber in der Umsetzung ein grandioser Hammer. Der Stern spricht von „Gänsehaut“. Nur wer die bekommt, ist die noch offene Frage.
In einem kleinen typisch französischen Örtchen lernen wir gleich zu Beginn den schnuckeligen Pierre kennen, der verheiratet ist und schon ein Kind im Kita-Alter hat. Dennoch kleidet er sich frivol und schein sich kaum zu wundern, dass ihn Frauen, die gerne schweißtriefend, oberkörperfrei durch die Strassen joggen und hier und da auch mal in die Ecken pissen, ihre Hälse nach ihm recken und gerne auch mal einen lockeren Spruch über seinen knackigen Hintern machen. Er kapiert einfach nicht, wie anziehend und erregend er auf seinem Fahrrad für die Frauenwelt ist. Frau weiß doch, dass Frauen fast immer nur das eine im Kopf haben, wenn sie irgendwo attraktive Männer sehen.
Nachdem er sein Kind in der Kita beim voll verschleierten Kita-Gärtner abgegeben hat, düst er fröhlich weiter und lässt sich von einer Obdachlosen provozieren, die ihm doch eigentlich nur erklären will, wie heiß er ist. Später trifft er auf vier junge Frauen, die offensichtlich gerne mal einen lockeren Spruch ablassen, besonders wenn so heiße Bräutigame ihren Weg kreuzen. Anstatt das mit einem milden Lächeln zu quittieren, kehrt Pierre plötzlich den Starken raus und provoziert die Vier abschätzig – „Bitches“ vs. „Fatherfucker“.
Das Drama nimmt ab da dann endgültig seinen Lauf und es passiert, was passieren muss, wenn man es so drauf anlegt wie Pierre. Seine vielbeschäftigte Frau, die erst spät von dem Drama erfährt, versucht ihn zu trösten, weiß aber auch, dass Pierre mit seiner lasziven Art und seinem zugleich maskulistischen Aufbegehren mindestens eine Teilschuld am Ausgang der Geschichte trägt.
Es wäre diesem Film OPPRESSED MAJORITY (Majorité Opprimée English), by Eleonore Pourriat zu wünschen, dass er bald auch die 100 Millionen Klicks erreicht.
Besonders interessant dabei: der Film ist wieder mal ein Lehrstück für die unergründlichen Tiefen des Netzes und seine viralen Phänomene. Wie man auf der Twittersuche schnell erkennt, steht der Film schon seit 2014 im Netz. Das er jetzt plötzlich neu entdeckt wird, ist sicher nicht dem Zeitgeist geschuldet, sondern vielmehr der Tatsache, dass er auf französisch veröffentlicht wurde und jetzt wohl erst englische Untertitel bekam, sondern vielleicht auch dem Fatalismus, dass viele Männer es eh nie begreifen? Bemerkenswert ist auch, dass auf Youtube weder ein Datum zur Veröffentlichung zu finden ist, noch Kommentare, da die Funktion – wohlweislich? – gesperrt wurde.
Nachtrag: Ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, dass der Film auch schon 2014 mit Untertiteln veröffentlicht wurde. Mir ist auch zunächst gar nicht aufgefallen, dass der Artikel im Stern schon 2014 erschienen ist, da ich beim Netzsurfen auf ihn gestoßen war und ihn für aktuell hielt. Es bleibt dennoch für mich nebulös, wie die Algorithmen im Netz funktionieren und warum der Film über sieben Jahre hinweg nur so allmählich seine Verbreitung findet. Wie gesagt, solche Ideen verbunden mit klarer, schlichter Didaktik braucht es viel mehr und müssen viel mehr verbreitet werden, um die Erfahrungswelt von Frauen in männliche Hirne zu hämmern.
Wer es ganz aktuell will, sollte sich wohl den Spiegel dieser Woche (12.2.2021) zu Gemüte führen. „Feindbild Frau“ ist der Titel und man befürchtet fast, dass dieses Thema auch noch die nächsten Jahrzehnte eine Never Ending Story ist.
Kommentar schreiben