Das Pandemiejahr hat für viele etwas Erschreckendes zutage gebracht: Von einem Tag auf den anderen nicht mehr in seinem Job arbeiten zu können, vielleicht sogar nicht mehr gebraucht zu werden und plötzlich vor einem ungeregelten Tagesablauf zu stehen. Erzwungene Auszeit.
Nach dem ersten Schock richtet sich jeder auf seine Weise auf die neue Situation ein. Zu Beginn sind gar manche euphorisch und freuen sich, endlich zu Dingen zu kommen, die sie die ganze Zeit vernachlässigt haben oder gar nicht erst in Angriff genommen hatten, weil die Zeit dazu fehlte. Plötzlich ist man kaum noch fremdbestimmt, sondern bestimmt selbst und frei, wann man was macht und was einem wichtig ist.
„Nutze die Auszeit, um mal Ordnung in dein Leben zu bringen.“ Leichter gesagt als getan.
Manche kommen dabei ins Grübeln und denken: „Nutze die Auszeit, um mal Ordnung in dein Leben zu bringen.“. Und wieder andere stellen fest, wie schwierig es ist, sich selbst zu motivieren und zu disziplinieren, so dass man abends nicht das Gefühl hat, wertvolle Zeit verschenkt zu haben. Die äußere Krise kann so schnell auch zu einer inneren Krise werden.
Immer wieder kommen Menschen in meine Coaching-Praxis, die sich verändern möchten – primär beruflich, doch eigentlich auch ihr ganzes Leben. Vor einiger Zeit traf ich Inga. Inga hatte fünfzehn Jahre lang in einem Job gearbeitet, in dem sie sich nach eigener Aussage nicht wirklich richtig gefühlt hatte. Dieses Gefühl wurde immer stärker, bestimmender und Inga kündigte und wollte sich die Auszeit nehmen herauszufinden, welche Art von Arbeit sie wirklich tun wolle in ihrem Leben. Dafür hatte sie sich ein paar Monate frei genommen, in der Hoffnung, in dieser Zeit ihre Leidenschaft zu finden.
Sich in der Auszeit nicht verausgaben.
Aus den geplanten vier Monaten wurden sechs, dann acht, und am Ende dieser Zeit hatte sie keine Antworten. Stattdessen hatte sie mehr Probleme, einschließlich des Verlusts eines Großteils ihrer Ersparnisse, die sie in dieser Zeit ausgegeben hatte, mehr Verwirrung über ihre nächsten Schritte und das Gefühl des Bedauerns und Versagens in Bezug auf ihren Lebenstraum und die irgendwie auch nicht gut genutzte freie Zeit.
Inga ist kein Einzelfall. Dies ist so ziemlich das, was jedem passiert ist, den ich kenne, der sich alleine die Zeit genommen hat, um herauszufinden, was er als nächstes, ja, was er wirklich tun möchte, einschließlich mir selbst.
Stattdessen nimmt während dieser freien Zeit die Verwirrung eher zu. Wir fühlen uns überfordert und isoliert. Alles, was wir lesen, hören, sehen zahlt ein auf dieses Gefühl, das andere wirklich wissen, was sie wollen – und nur wir nicht. Am Ende verbringen wir viel zu viel Zeit im Pyjama, lesend, Netflix guckend, Eis essend und endlos Kaffee trinkend.
Sorry, aber auch die Auszeit muss geplant sein.
Meine Erfahrung der letzten 10 Jahre als Lebens- und Karrierecoach hat mir gezeigt, dass wir nie wirklich Tage oder Wochen Auszeit brauchen, um runter zu kommen, Abstand zu gewinnen, mal nur einfach herumzusitzen und dabei immer mal wieder über unsere nächsten großen Lebensentscheidungen und Karriereschritte zu grübeln.
Was wir stattdessen benötigen, ist ein Skript, wie wir konsequent vorgehen, ein Rezept, das die folgenden Elemente enthält:
- Mut: Wir brauchen den Mut, um ehrlich zu uns selbst zu sein, uns über unsere Talente und Neigungen ebenso Klarheit zu schaffen, wie über all die Fähigkeiten, die wir nicht haben oder bei denen wir nur mittelmäßig sind oder Dingen, dir wir leidenschaftslos und bestenfalls pflichtbewusst erfüllen. Wir müssen mit uns schonungslos ins Gericht gehen.
- Angst & Selbstzweifel bezähmen: Wir benötigen einige tägliche Praktiken und Tools zum Umgang mit Angst und Selbstzweifeln, die naturgemäß in Zeiten des Übergangs auftreten, wenn wir nicht wirklich genau Bescheid wissen über den Weg „dahin“. Dazu ist es hilfreich, die eigenen inneren Muster zu kennen, in denen sich Angst und Selbstzweifel zeigen und ihnen entsprechend zu begegnen.
- Zeit und Struktur: Ja, wir brauchen auch Zeit zum Nachdenken und Nachforschen – aber keineswegs endlos und als Kernaufgabe, sondern als regelmäßige Fokuszeit, auf die wir uns freuen, die uns weiterbringt. Ja, es widerspricht dem Traum, endlich mal nicht fremdbestimmt sein zu können und völlig frei über seine Zeit zu verfügen. Doch dieser Traum ist eine Illusion vom Glück. Selbst Menschen, die finanziell und familiär völlig unabhängig sind, werden unglücklich, wenn sie keine Aufgabe haben und sich kaum gebraucht fühlen. Deshalb strukturiere deinen Alltag, nimm Kontakte mit Freunden und Bekannten auf, telefoniere oder schreibe ihnen, übernimm Aufgaben, die sich dir bieten und lege dir Zeiten fest, in denen du dir die Freiheit für Ungeplantes nimmst. Ich weiß, dass klingt fast etwas paradox: Zeit festlegen für Spontanität (Zum Beispiel „Täglicher Spaziergang“ Klick: hier). Doch glaub mir, es funktioniert so deutlich inspirierender als darauf zu hoffen, dass Inspiration, Kreativität und neue Ideen über den Tag kommen wie der Paketdienst.
- Unterstützung: Wir benötigen Unterstützung und externe Anregungen, um Dinge zu tun, die außerhalb unserer üblichen Routinen und der bekannten Wege liegen. Deshalb scheue dich nicht, Personen außerhalb deines üblichen Freundes- und Familienkreises anzusprechen. Suche dir gezielt Menschen, deren Tätigkeit oder Lebensweise dich faszinieren und die du schon immer mal näher kennenlernen wolltest. Es können aber auch Menschen sein, die auf einer ähnlichen Mission sind wie du, oder eine unterstützende Gruppe. Und es kann auch ein Coach oder ein Therapeut sein.
- Möglichkeiten zu experimentieren: Wir brauchen viele Möglichkeiten, um kleine Experimente in verschiedene mögliche Richtungen durchzuführen. Arbeite an dir indem du für dich und andere arbeitest. Nicht für Geld und Anerkennung, sondern um dich auszuprobieren. Geh das auch offen an. Sage anderen, dass du etwas ausprobieren möchtest – ernsthaft, jedoch auch mit dem Ergebnis, dass es nicht so klappt oder dein Ding ist. Schreib ein Essay, mach ein Blog, renoviere eine Wohnung, begleite einen Gärtner oder schau dir an, was es alles an ehrenamtlichen Tätigkeiten in deiner Umgebung gibt. Öffne den Horizont an Möglichkeiten und lerne auch dich dabei noch besser kennen.
Wenn du an diesem Punkt stehst, wo du dich neu orientieren willst, wissen willst, ob du den vergangenen Pfad weitergehen sollst oder du besser eine neue Richtung einschlägst, dann nimm diesen Moment ernst. Klar, kannst du dann diverse Suchbegriffe in Google eingeben und dich durchs Netz treiben lassen, um Ratschlag für Ratschlag wie diese aufzusaugen.
Doch irgendwann musst du die Sache anpacken. Etwas wirklich tun. Dieser Schritt wird der entscheidende sein. Du musst raus aus deinem stillen Kämmerlein und sagen: Hier bin ich. Ich will das und das und das. Dann such dir Unterstützer und mach‘ dich auf den Weg. Und erlaube dir zu spielen, zu experimentieren, herauszufinden, ob du Lust hast, dieses oder jenes zu tun.
Viel Spaß auf dem Weg zu dem, was du als nächstes tun willst.
Du findest, das ist alles nur Blabla? Du hast konkrete Fragen und findest keine Antworten? Dann fordere mich gerne konkret heraus. Schreib mir und wir werden sehen, ob da nicht doch etwas zu machen ist.
Deine Sandra
Anemone123 auf Pixabay
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