Allgemein Job & Geld

„Gender-Pay-Gap? Bei mir doch nicht!“ Wie aus meiner Wut eine Berufung wurde.

SandraMirko

Interview mit Sandra Schumacher (www.sandraschumacher.com)

Sandra Schumacher hat ihre Berufung gefunden: Seit über 10 Jahren begleitet sie viele Frauen und Männer als freier Coach bei der Findung von Job-, Karriere- und Lebenszielen. Der Weg dahin führte sie über eine Karriere im Digitalbusiness mit sehr erfolgreichen Höhen und wütend machenden Tiefen. Diese Wut war dann der Anstoß dafür, anderen Frauen diese Tiefen zu ersparen und sie mit ihrer Erfahrung stark zu machen, wirklich das zu tun und zu bekommen, was Frau will.

Wir haben Sandra als Gastredakteurin gewinnen können und möchten sie dir mit diesem ersten Interview persönlich vorstellen.

WOMZ: Liebe Sandra, wir kennen dich ja schon ein paar Jahre und haben immer wieder gehofft, dich mal als Expertin für unser Blogmagazin gewinnen zu können. Jetzt endlich haben wir es geschafft, dass du dir die Zeit dafür freischaufelst. Regelmäßig werden wir bald zum Thema „Frauen & Job/Geld“ aus deinem Erfahrungsschatz Beiträge zu lesen bekommen. Wir freuen uns riesig.

Damit unsere Leser:innen erfahren, warum wir darüber so glücklich sind, wollen wir dich mit diesem Interview erstmal vorstellen und über unsere Beweggründe, dieses wichtige Thema „Frauen Geld, Job, Karriere.“ kontinuierlich aufzugreifen, austauschen. Du bist selbst Mutter von zwei Kindern und arbeitest heute als Coach in Hamburg. Erzähle uns doch noch etwas mehr über dich: Was dich dahin geführt hat? Was du heute machst? Und was dich heute besonders antreibt?

SANDRA: Ich freue mich auch so sehr, dass das jetzt klappt – wie schön! Das Thema Frauen und Karriere ist mir schon immer sehr wichtig gewesen, da ich schon früh gemerkt habe, wie gern ich Mentorin für meine Freundinnen in ihren Jobs war. Andere suchten bei Themen wie Bewerbungen oder Vorstellungsgesprächen das Weite, während ich dachte: „Oh wie spannend! Lass uns doch mal zusammen überlegen, wie das gehen kann!“. Später, als Führungskraft in einer Hamburger Digitalagentur waren die Themen Teamführung, Motivation und Entwicklung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen meine Lieblingsthemen im daily Business. Und als ich Mutter wurde, dachte ich nur: „Wann, wenn nicht jetzt?“ und startete mein Coaching Business, zunächst als Nebenjob.

Seit mehr als 10 Jahren arbeite ich jetzt schon mit Frauen zu ihren Themen rund um Jobs, Business und die Herausforderung, sich einfach mehr zuzutrauen. Natürlich ist das Thema Geld und Verhandeln da ein ganz zentrales, da ich auch selber auf die harte Art lernen musste, dass ich deutlich mehr verdienen hätte können. Und immer wieder feststelle, dass auch andere Frauen da unter ihren Möglichkeiten bleiben. Und das möchte ich auf jeden Fall ändern! 

WOMZ: Wenn ich das richtig verstehe, hast du also ein echtes Gender-Pay-Gap erfahren. Du hast das Gleiche wie deine männlichen Kollegen gemacht und dennoch deutlich weniger als diese Kollegen verdient? Das war dann wohl auch eine Motivation aus der Wut heraus, sich besonders auf das Coaching von Frauen zu konzentrieren. Oder spielt da auch schon wieder eine Rolle, dass sich Männer nicht gerne von Frauen coachen lassen?

SANDRA: Gute Frage! Da muss ich ein kleines bisschen ausholen: In meine Karriere bin ich mit der ganz klaren Überzeugung gestartet, dass sich meine Leistung lohnen wird – dass ich für gute Arbeit entsprechend gutes Geld verdienen werde. Gleichberechtigung war selbstverständlich für mich, Gender-Pay-Gap? Bestimmt nicht!

Meine Karriere entwickelte sich dann auch prächtig, ich übernahm immer bessere Projekte. Nur mein Gehalt hielt irgendwie nicht mit, obwohl ich in jedem Personal- oder Jahresgespräch nach Gehaltserhöhungen fragte. Leider hörte ich immer die üblichen Einwände und habe sie verärgert hingenommen oder einfach geglaubt: „Dieses Jahr ist kein Budget mehr da für eine Gehaltserhöhung“, „Wirtschaftlich ist es gerade schwierig, daher gibt es dieses Jahr keine Erhöhungen“, „Wenn ich Dir diese Gehaltserhöhung geben würde, dann würdest Du das Abteilungsgefüge sprengen“, „Über Gehaltserhöhungen sprechen wir nur im Jahresgespräch“ …. Du kennst sie wahrscheinlich auch. Dieses „Nein“ in meinen Gesprächen mit meinem Chef war dann für mich gesetzt.

Im Zuge einer Restrukturierung wurde dann unsere Abteilung aufgelöst und wir sprachen offen über unsere Abfindungsangebote. Und mir fiel es wie Schuppen von den Augen, dass alle meine männlichen Kollegen deutlich mehr verdient hatten als ich. Wie war es dazu gekommen? Ich hatte doch alles versucht – oder etwa nicht?

Aber dieser Moment war entscheidend und nach echter, tiefer Wut und auch Scham über diese Situation war schließlich meine Neugier geweckt: Warum ist das so? Was hätte ich anders machen können? Und ging das anderen Frauen auch so?

Es stellte sich heraus, dass es in der Tat erhebliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern in Punkto Verdienst und Verhandlung gibt. Kleine Kostprobe? Ich hatte gleich das erste Angebot für meinen beruflichen Einstieg bei der Firma akzeptiert, weil es mir ok erschien. Das tun übrigens fast 75% aller Frauen. Aber schon dort hätte ich verhandeln können. Das war mir nicht klar, und ich hätte damals auch nicht gewusst, wie.

Ein anderer Punkt: Wenn Frauen dieses „Nein“ in Verhandlungsgesprächen als Antwort hören, dann nehmen viele Frauen das hin. Dabei fängt mit diesem „Nein“ die Verhandlung ja eigentlich gerade erst an! Aber Frauen scheuen vor dieser Situation zurück, dabei kann man das lernen und sich auf diese Situationen sehr gut vorbereiten.

Und damit sind wir beim letzten Punkt: Weißt du, mit wem ich deutlich häufiger Gehaltsgespräche im Coaching vorbereite? Mit Männern! Denn die bereiten sich auf diese Gespräche strategisch vor. Frauen kommen leider oft erst nach dem Gespräch, oder wenn sie eine ähnliche Erfahrung gemacht haben wie ich damals.

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Mentale und inhaltliche Vorbereitung auf Karriere- und Gehaltsgespäche – ganz wichtig.

WOMZ: Wow Sandra. Danke für deine Offenheit. Ja, über die Unsicherheit bei solchen Einstiegs-, Gehalts- und Entwicklungsgesprächen berichten viele Frauen. Sie fühlen sich oft als Bittsteller. Das unterscheidet sie klar von vielen Männern, die selbstbewusst – ob, berechtigt oder nicht – in solche Gespräche gehen mit der Haltung: Das hab ich jetzt aber verdient! 

Überhaupt scheinen Frauen und Männer im Job sehr unterschiedlich zu kommunizieren. Wir haben hierzu vor kurzem diesen Beitrag geschrieben: http://womz.gesundenatur.info/job-klischee-typisch-frau-typisch-mann-gibts-das/ und fanden das Buch „Typisch Mann, typisch Frau?“ sehr aufschlussreich. Zwei Dinge fanden wir bemerkenswert: Frauen haben in der Kommunikation die Konjunktivitis und Frauen fehlt eine positive Einstellung zur Macht. Kannst du diese Beobachtungen bestätigen?

SANDRA: Ja, das kann ich leider bestätigen. Frauen trauen sich bedauerlicherweise oft zu wenig zu. Was Du so schön als „Konjunktivititis“ auf den Punkt bringst, das steckt in ganz vielen Verhaltensweisen, die Frauen an den Tag legen, z.B. Konfliktvermeidung, Selbstzensur, People-Pleasing, zurückhaltendes Sprechen und Handeln.

Dabei sind unter meinen Klientinnen, Freundinnen, Kolleginnen so viele coole, gute Frauen, die ihre eigene Stärke aber nicht sehen können. Das sind Frauen, die davon überzeugt sind, dass ihre Ideen oder sie selbst noch besser sein müssen, bevor sie loslegen können. Dass sie noch mehr Zeit benötigen, dass sie perfekt sein müssten. Kombiniert damit, dass diese Frauen oft ihre größten Träume nicht verfolgen, weil sie immer anderen in ihrem Leben den Vortritt lassen: Dem Partner und seiner Karriere, den Kindern, den Kunden, der Firma, den Eltern…

Manchmal denke ich, wir haben einen riesigen Schritt in Richtung Gleichberechtigung gemacht, besonders über die letzten 40 Jahre, um äußere Hürden aus dem Weg zu räumen, aber wir fangen erst jetzt damit an, auf das innere Erbe von Ungleichheit zu blicken und wie wir es ändern können. Wir haben hier noch eine Menge von innerem „Verlernen“ und Neulernen zu tun!

WOMZ: Und genau diesem Verlernen und Neulernen wollen wir uns mit dir in Zukunft annehmen. Neben dem Verhalten und Reden im Job, ist ja auch allgemein das Sprechen über Geld ein sehr heikles Thema, das meist vermieden wird – beruflich und auch privat.

So ist es doch in Deutschland schon undenkbar, mit Kolleg:innen oder Freund:innen über Gehalt oder Einkommen offen zu reden. Es fängt ja eigentlich schon bei den Jobanzeigen an. In angelsächsischen Ländern wird immer explizit geschrieben, wie hoch der Job dotiert ist. Hier findet man das nur ganz selten. Und auch privat sprechen Paare fast nie sachlich über Geld, sondern wenn, dann ist es nur ein häufiger Streitpunkt. Bis du mit diesem Phänomen auch schon öfter in Berührung gekommen?

SANDRA: „Über Geld spricht man nicht“ – ja, das lernen wir wirklich von klein auf. Und halten uns auch im Erwachsenen-Alter dran, denn schließlich enthalten viele Arbeitsverträge in Deutschland eine Klausel zur Geheimhaltungspflicht über das Gehalt. Dass diese im Allgemeinen von Gerichten schon vor über 10 Jahren als unwirksam erklärt wurde, weiß kaum einer. Und jetzt kommt’s: 2009 hat ein Arbeitsgericht explizit festgestellt, dass natürlich jeder Arbeitnehmer frei über sein Gehalt sprechen können muss, damit er oder sie in einem solchen Gespräch überhaupt feststellen kann, ob der Arbeitgeber bei der Lohnhöhe den Gleichbehandlungsgrundsatz einhält!

Neben dieser rechtlichen Hürde gibt es natürlich auch noch Hürden im Kopf: Wir Deutschen reden zwar gern und viel über unsere Jobs, unsere Wohnungen, unsere Pläne, Ziele und Wünsche. Doch die Finanzen sind irgendwie tabu. Während in Schweden jeder die Steuererklärung seines Nachbarn oder des Ministerpräsidenten öffentlich einsehen kann, spekulieren wir am Abendbrottisch, warum der Nachbar sich wohl wieder ein neues Auto leisten konnte.

Weißt du, was mich immer wieder erstaunt? Dass selbst in Beziehungen nur 59 % der Befragten wissen, wie viel Geld ihr Partner verdient. Wenn du also schon mit deinem Partner nicht über dein Gehalt sprichst, ja wo denn dann?

Das Schlimme daran ist: Wenn nicht über diese Themen gesprochen wird, dann kannst du nicht lernen, du kannst nicht fragen, wie jemand anderes das gelöst hat, sei es in Finanzthemen oder sei es beim Thema Gehalt. Und in diesem Schweigen gibt es eigentlich nur eine Gewinnerseite: die der Arbeitgeber.

WOMZ: Kommen wir nochmal auf deine Erfahrung als Coach zurück. Was sind denn die Hauptgründe, die Frauen (und auch Männer) bewegt, dein Coaching in Anspruch zu nehmen. Und welche Form des Coachings wird denn bevorzugt? Individuell, persönliche Begegnung oder – gerade jetzt in der Zeit der Pandemie – auch online?

SANDRA: Mit Frauen arbeite ich sehr gern daran, sich nach innen stark zu fühlen und nach außen stark aufzutreten, sei es im Job, in Gehaltsverhandlungen oder auch in anderen, für sie wichtigen Situationen.

Auslöser für ein Coaching ist ganz häufig der Wunsch nach Veränderung. Das „Weg von“ ist oft klar, aber wohin soll es gehen? Die Frauen (und Männer!) bemerken dann, dass sie mit ihrem Leben, wie es jetzt läuft, nicht mehr länger zufrieden oder glücklich sind. Sie machen vielleicht einen Job, der ihnen die ganze Energie raubt, sie wünschen sich mehr Geld oder andere Arbeitszeiten, manche haben auch den Wunsch nach einem ganz anderen Leben. Bei anderen geht es schon um den nächsten Schritt: Sollen sie sich auf die nächsthöhere Position bewerben? Sich selbstständig machen? Ein neues Business aufmachen? Und wenn ja, wie gehen sie das konkret an?

Ich mache das jetzt seit über 10 Jahren als selbständiger Coach mit eigener Praxis in Hamburg. Und ich muss gestehen, Corona hat mein Business total positiv verändert: Denn vor der Pandemie konnten sich viele Menschen in Deutschland nicht vorstellen, virtuell mit einem Coach zusammen zu arbeiten. Das ist jetzt ganz anders und ich freue mich so, dass ich endlich mit Menschen aus ganz Deutschland zusammenarbeiten kann – genauso, wie ich es ja schon lange mit meinen internationalen Klientinnen tue!

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Die Wut und vieles mehr hat sie heute im Griff.

WOMZ: Das wäre ja dann auch mal ein positiver Effekt aus der Krise, wenn das nachhaltig ist. Da gäbe es sicher auch noch viel drüber zu sagen. Aber wir müssen jetzt doch erstmal zur abschließenden Frage kommen: Was werden denn die ersten Themen sein, zu denen du deine Erfahrungen und Tipps an unsere Leser:innen weitergeben wirst?

SANDRA: Viele Frauen kommen aktuell zu mir und sind einfach sehr erschöpft, der Lockdown hinterlässt schon Spuren. Daher wird es aktuell viel darum gehen, wie Frauen gestärkt werden können und mehr für sich sorgen. Dabei geht es um Themen wie mehr Selbstvertrauen, mehr Kraft, mehr Freude – aber auch um Themen wie mehr Geld in der Krise, mehr finanzielle Sicherheit, mehr Freude auch im Job. Denn wenn es Frauen dort besser geht, dann hat es auch unmittelbare Auswirkungen auf unsere Familie und unsere Zufriedenheit!

WOMZ: Liebe Sandra, herzlichen Dank für das Gespräch. Wir freuen uns darauf, bald noch mehr von dir zu erfahren.

Weitere Beiträge von Sandra: Endlich Auszeit! Endlich Zeit für Veränderung! Und plötzlich läuft sie ungenutzt davon. Klick. Die Sehnsucht nach einer Auszeit ist bei vielen groß. Endlich Zeit, selbstbestimmt zu sein. Zeit, um mal sein Leben in Ordnung zu bringen und über Alternativen nachzudenken etc. Doch viele stellen dann fest: Die Zeit verrinnt oft ungenutzt. Es mag desillusionierend klingen, aber freie, unbegrenzte Zeit will geplant sein, wenn wir sie nicht verschenken wollen.

Ganz aktuell fanden wir zu dem Thema auch einen spannenden Beitrag auf Linkedin: „LinkedIn Studie: Die Mehrheit der Frauen tritt im Job zurückhaltender auf als Männer – woran liegt das?“ von Monika Sieverding, Professor of Psychology, Head of Gender Studies & Health Psychology Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

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